LEBENswerklebensENDE

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Wie alles kam

Wie alles kam

Unermüdlich weibelte Luise Thut einst für ihre Idee, sass stundenlang mit der Aktuarin des Hospiz-Vereins am Computer, um Briefe zu schreiben, bildete sich weiter, hielt die Hand von Kranken, knüpfte neue Kontakte oder bekochte, wenn es der Sache diente, den gesamten Gemeinderat einer Gemeinde. Ihre blauen Augen strahlen, wenn sie von den Menschen berichtet, denen sie begegnet ist, ein feines Lächeln umspielt ihre Lippen. Luise Thut erzählt bescheiden und meint wiederholt:

«Ich hatte immer sehr viel Glück.»

Luise Thut wurde 1928 in München geboren. Sie erlebte als heranwachsende Frau die Kriegsjahre. Eine schwere Zeit, über die sie nicht allzu viele Worte verlieren mag. Schon als kleines Mädchen stand ihr Berufswunsch fest: Kinderärztin wollte sie werden. Doch nach dem Weltkrieg wurden bei der höheren Schulbildung die Männer bevorzugt. Die junge Frau versuchte dennoch, ihren Traum zu verwirklichen, reiste zu Verwandten in die USA, erkundigte sich dort nach den Möglichkeiten eines Medizinstudiums – um festzustellen, dass ihr für solches das Geld fehlt.

Also begann sie, als Kinderbetreuerin zu arbeiten, kehrte nach Jahren zurück nach Europa, um einige Zeit darauf erneut in die USA auszuwandern.

Für die Scandinavian Airlines arbeitete sie als «VIP Representative», sie betreute in dieser Funktion Prominente, die mit der Airline reisten.

Eine Aufgabe, die auf sie zugeschnitten war. «Ich fand schon immer sehr leicht den Zugang zu Menschen», berichtet sie. Eine Eigenschaft, die ihr später sehr zugute kommen sollte.

Es war die Liebe zum Swissair-Piloten Heinz Thut, den sie 1964 in den USA heiratet, die sie schliesslich in die Schweiz führte.  Es handelte sich um eine Verbindung auf Augenhöhe:

«Heinz hat meine Ideen immer sehr unterstützt.»

Nach Stationen in Bangkok und Hongkong bezog das Ehepaar ein schönes Einfamilienhaus in Zufikon. Luise Thut hätte ganz in ihrem angenehmen Alltag mit vielen Freunden aufgehen können, doch dann hatte sie ein Erlebnis.

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Spätlese

Spätlese

In den USA hatte Luise Thut Freundschaft zu einer Frau geschlossen, Opernliebhaberin wie sie. Der Kontakt hielt, auch als Luise Thut auf anderen Kontinenten lebte. Irgendwann bekam sie ein folgenschweres Telefonat: «Ich habe Krebs», erfuhr sie von der Freundin. Sie reiste in die USA, um ihr beizustehen. Die Freundin verbrachte ihre letzte Zeit in einem stationären Hospiz, liebevoll umsorgt. Luise Thut war tief beeindruckt. Gleichzeitig musste sie feststellen, dass das Hinscheiden ihrer Freundin in der Schweiz ein anderes gewesen wäre.

Die Hospiz-Idee oder die palliative Pflege waren damals hierzulande kaum bekannt.

Mit 60 Jahren beschloss Luise Thut, sich für die Hospiz-Idee zu engagieren. Weil es in der Schweiz damals keine entsprechenden Ausbildungen gab, absolvierte sie sie im Ausland, erwarb den Titel «Certified Hospice Trainer». Das berechtigte sie, ein Hospiz zu führen und Mitarbeitende auszubilden. Ihre Fähigkeit, schnell mit Menschen in Kontakt zu kommen, erleichterte es ihr, Beziehungen zu Personen zu knüpfen, die zu wichtigen Wegbereitern wurden, etwa zur

Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross,

mit der sie eine tiefe Freundschaft verband, oder zur britischen Hospiz-Pionierin Cicely Saunders.

Luise Thuts tiefer Glaube liess sie vertrauen, dass alles schon richtig kommen würde. Vergnügt erzählt sie: «Es kam immer wieder vor, dass ich im Flugzeug neben jemandem sass, und im Gespräch fand ich heraus, dass gerade diese Person mir sehr hilfreich sein konnte.»

Die Hürden waren jedoch sehr hoch, sowohl in politischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht.

Viele verwechselten Luise Thuts Ideen von einer palliativen Begleitung Schwerkranker mit der aktiven Sterbehilfe.

Ärzte standen den Gedanken ebenfalls negativ gegenüber. Hier kam der Aargauerin ihr grosser Charme zugute. Sie vermag es, Menschen zu überzeugen, zu motivieren. Bescheiden meint sie, dass ihr viele liebe Personen geholfen hätten. Aber es war sie, die Geld sammelte, die Ärzte oder Politiker mit fachlichen Argumenten zu überzeugen versuchte. Mit der Zeit wurde sie bekannt. Und sie nutzte ihre Bekanntheit für die Hospiz-Sache.

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Die Unermüdliche

Die Unermüdliche

Mit sieben Bekannten gründete Luise Thut 1994 den Verein Hospiz Aargau, lancierte die Begleitung von Schwerkranken. Sie leitete die ehrenamtlichen Helfenden, die Erkrankten und ihren Angehörigen beistanden. Sie sorgte dafür, dass die Freiwilligen gut vorbereitet mit ihrer Aufgabe starten konnten und sie war es auch, die sicherstellte, dass die Begleitung niemanden emotional überforderte.

Weiter organisierte sie einen Trauertreff.

Die Begleitung von Schwerkranken wurde in kürzester Zeit ein grosser Erfolg. Luise Thut hätte sich zurücklehnen, sich sagen können, dass sie viel erreicht hatte. Aber sie wollte das stationäre Hospiz, sie wollte es unbedingt.

«Nicht immer ist es möglich, dass Schwerkranke zu Hause gepflegt werden, nur schon, weil manchmal die entsprechenden sozialen Kontakte fehlen.»

In einem Hospiz gibt es ausgebildete Palliativ-Fachpersonen, die den Umgang mit Schwerkranken gewohnt sind und die auch über genügend Zeit verfügen, weil sie von ausgebildeten Ehrenamtlichen gut unterstützt werden. Auch für die Angehörigen ist es einfacher, wenn sie in einem angenehmen Ambiente Abschied nehmen können.

Ein Hospiz bietet einen guten Rahmen, um die unerledigten Dinge vor dem Sterben zu erledigen,

«um zum Beispiel innerhalb der Familie Frieden zu schliessen», begründet sie.

Unermüdlich klopfte Luise Thut bei verschiedenen Stellen an, suchte nach Räumlichkeiten für das Hospiz. Stellte sicher, dass der Verein immer professioneller aufgestellt war, auch in finanzieller Hinsicht. Wie schaffte sie es, nie aufzugeben? Sie sagt: «Der Glaube, dass wir unsere Ziele erreichen. Ich wusste: Da ist jemand, der dir hilft. Ich war nie allein. 

Oft denke ich, das Lieblingskind des Herrgotts zu sein.

So fand ich Kraft und Mut, weiterzumachen.»

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Der Durchbruch

Der Durchbruch

2005 wurde Luise Thuts Hartnäckigkeit belohnt. In den Räumen des ehemaligen Klosters Gnadenthal in Niederwil konnte sie das «Hospiz an der Reuss»,

das erste stationäre Hospiz im Kanton Aargau, mit vier Betten

eröffnen. Damit war ein Grundstein gelegt worden. Ärzte und Pflegende realisierten auf einmal, dass es stationäre Hospize dringend braucht. Dennoch gab es weitere Schwierigkeiten.

Im Jahr 2010 musste das Hospiz umziehen. Erneut setzte Luise Thut, obwohl nicht mehr Präsidentin des Hospiz-Vereins, alle Hebel in Bewegung und konnte in Brugg im ehemaligen Spital Räumlichkeiten finden. Dort befindet sich das Hospiz seither, aktuell verfügt es über zehn Zimmer.

Im Jahr 2008 hatte Luise Thut nochmals einen grossen Schritt gewagt: Sie trat als Präsidentin des Vereins Hospiz Aargau zurück, übergab diesen in neue Hände. Nicht, um sich zu schonen, sondern um die Zukunft zu ermöglichen – schliesslich war sie schon 80 Jahre alt. In der Folge gelang ihr, was andere bedeutende Leader oft nicht schaffen:

Sie liess los.

Dem Hospiz Aargau stand sie, wenn sie gefragt wurde, nach wie vor mit wichtigen Inputs zur Verfügung. Aber sie mischte sich nicht ein, sondern freute sich darüber, wie gut die von ihr gegründete Institution heute aufgestellt ist.

Weitsicht bewies Luise Thut nicht nur in ihrem öffentlichen Wirken für die palliative Pflege, sondern auch im privaten Umfeld. Nach dem Tod ihres Ehemannes Heinz verkaufte sie das gemeinsame Einfamilienhaus und bezog zwei Wohnungen in einer Überbauung für Senioren- und Generationenwohnen in Berikon. Eine Wohnung war für sie gedacht, die andere dafür, falls sie dereinst eine Pflegerin benötigen würde. Das war dann tatsächlich der Fall. Aleksandra stand ihr liebevoll zur Seite. Die beiden Frauen waren ein gutes Team – und blieben es bis zum Tod von Luise Thut am 17. Juli 2023.

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Pionierin der Hospiz-Bewegung

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